Die Svejdahorntravelagency hat die erste große Etappe des Abenteuers Panamericana erfolgreich hinter sich gebracht: Vier Wochen lang sind wir durch den äußeren Nordwesten des nordamerikanischen Kontinents gereist. Dabei lagen drei Provinzen bzw. (Bundes-) Staaten auf unserem Weg und wenngleich alle drei sich in vielen Punkten ähneln und durch eine gemeinsame Geschichte untrennbar miteinander verbunden sind (Stichwort Goldrausch), so sind doch auch viele kleine und große Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen zu beobachten. Zeit für einen durch und durch ernstgemeinten und in seiner Objektivität unvergleichlichen Vergleich in den wirklich wichtigen Reisekategorien.
Facilities: Drei Worte: Free hot showers! Welche Wonne sie versprechen. Welch verheißungsvoller Schauder über den Rücken kriecht. In einer Lebensrealität, in der „Zuhause“ mit vier Rädern und einem Motor, dafür jedoch nicht mit fließendem Wasser oder WLAN verknüpft wird, sind gut ausgestattete und saubere Campingplätze und Cafés mehr als eine Annehmlichkeit – sie sind schlichtweg eine Notwendigkeit. Zum Glück sind alle drei Staaten in dieser Hinsicht bemerkeswert gut aufgestellt. Gut, natürlich findet man nicht in jedem kleinen Provincial Park in der tiefsten Pampa ein Wasserklosett, aber ehrlich gesagt wäre das auch etwas zu viel verlangt. Wie zur Hölle sollte eine solche Infrastruktur in einem so dünn besiedelten Land denn finanziert und der Aufwand dafür gerechtfertigt werden können? Außerdem sind die Plumpsklos eigentlich immer sauber und top gepflegt. Genauso wie die öffentliche Parkanlagen und die dortigen facilities. Einzig British Columbia bekommt in dieser Hinsicht einen Punkt abgezogen: Ich erwarte ja nicht, dass mich aus jeder Latrine gleich der Charmin-Bär freundlich hüftschwingend anspringt und mit mir einen Mambo tanzen will, aber etwas mehr als eine einzige durchscheinende Lage könnte das Toilettenpapier dort auf den öffentlichen WCs schon haben. Auch die kostenlosen warmen Duschen gibt es leider längst noch nicht überall und auch das zur Verfügung gestellte WLAN ist meistens nur eingeschränkt benutzbar, insgesamt ist die Infrastruktur jedoch zufriedenstellend. Vielleicht wird es ja auch noch besser, wenn auf manchen der überall, wirklich überall anzutreffenden Golfplätzen (es gibt Golfplätze am nördlichen Polarkreis, wer denkt sich sowas eigentlich aus?) noch ein Sendemast oder eine Kläranlage gebaut wird. Bis dahin erhalten AK und Y.T. schonmal 2 Punkte und B.C. 1 Punkt.
Flora & Fauna: Beeindruckend. Einfach beeindruckend. Vergesst all die Grizzlies, Elche, Fuchswelpen, Präriehunde, Bisons oder Caribous, die euch hier scheinbar hinter jeder Highwaykreuzung vor die Augen rennen. Am Allerbeeindruckendsten ist immer noch das Fireweed. So schön lila. Und so selten. Kaum zu finden in einem 2000km-langen Korridor von der Mitte von B.C. bis zur Mitte Alaskas. Das muss man einfach fotografieren, wenn man es sieht. An jedem verdammten Rastplatz… Abgesehen von dieser Schönheit, die es immerhin auf die Flagge der Yukon Territories geschafft hat und die scheinbar der Hauptanreisegrund für Trillionen Renterinnen gewesen ist, scheint sich die Natur oben im Nordwesten vor allem darauf versteift zu haben, möglichst frühzeitig wieder aus dem Leben scheiden zu wollen. Anders kann ich mir all die Präriehunde und Kleinvögel nicht erklären, die kurzerhand auf den Highway rennen, paralysiert stehen bleiben, zurück rennen, sich wieder umentscheiden, nur um dann stilecht genau in der Mitte der Achse von unserer treuen Rosinante überrollt zu werden. Echt jetzt, Lemminge sind nix gegen das Artic ground squirrel, ein Herzkasper garantiert. Dabei hat sich vor allem die Strecke zwischen Whitehorse und Dawson City im Yukon hervorgetan, weswegen diese Provinz sich wegen massiver Gesundheitsgefährdung der Nerven der Agency leider auch mit einem Punktabzug konfrontiert sieht. Damit bekommen B.C. und AK 3 Punkte und der Yukon 2 Punkte in dieser Kategorie.
Folklore: Wann genau war eigentlich diese Zeit, in der Museumspädagogik sich vor allem darauf verstanden hat, Plastikpuppen und Plastiktiere in einer nachgebauten Plastikwelt zur Schau zu stellen? War das überhaupt jemals state of the art? Und wieso muss bis heute selbst in so renoviert klingenden Institutionen wie dem Royal British Columbia Museum immer noch der Plastikmuff der vergangenen Jahrzehnte herumstehen? Wieso steht in einer der beliebtesten Sehenswürdigkeit in Fairbanks ein alter Raddampfer, in dem 30-40 Vitrinen ausgestellt werden, in denen es ausschließlich Eisenbahnmodellbau zu sehen gibt? Wieso muss man das alte Goldgräberstädtchen Skagway so mit Kreuzfahrtschiffen und ihren Gästen zuscheißen, dass die meisten Ladengeschäft mittlerweile Diamantjuweliere sind? Fragen, auf die mir zumindest keine guten Antworten einfallen. Große Ausnahme ist Dawson City im Yukon, dass als Gesamtkunstwerk irgendwo zwischen charmant verrottet und liebevoll restauriert verortet werden kann. Zwar fehlen auch hier im örtlichen Museum die scheinbar allgegenwärtigen Plastikpuppen nicht, dennoch bekommen die Y.T. für dieses Kleinod zumindest 1 Punkt, während B.C. und AK mit 0 Punkten nach Hause geschickt werden.
Seafood: Gut, vielleicht mag es zunächst etwas unfair erscheinen, aber leider haben die Yukonesen nunmal keinen Pazifikzugang. Klare Sache, gibt erstmal Punktabzug. In Alaska und in British Columbia sieht das schon anders aus. Umso reichhaltiger die Fischküche, wobei es anscheinend vor allem der Heilbutt ist, der nebem dem in allen drei Provinzen allgegenwärtigen Lachs die Speisekarten dominiert. Naja, ich mag ja lieber Kabeljau. Daher bekommt British Columbia einen Sonderpunkt. Schließlich heißt der Bundesstaat nicht umsonst so – in der Hauptstadt Viktoria gibt es einfach vorzügliche Fish n‘ Chips. Und Sushi. Wirklich, in diesem Leben werde ich kein großer Freund des Sushi mehr, aber die deep fried california rolls, die mir im Tatsu Bistro serviert wurden waren einfach so gut- ich glaube jetzt kann ich erst recht nirgendwo anders mehr Sushi essen gehen. Daher bekommt B.C. 3 Punkte, AK 2 Punkte und die Y.T. für den Lachs zumindest noch 1 Punkt.
Trinkgewohnheiten: Nunja, Nordamerika bleibt nunmal Nordamerika. Alkohol scheint hierzulande einfach nicht so sehr zur kulturellen Identität zu gehören. Wie sonst ist es zu erklären, dass man sich nicht einfach ein kühles Helles kaufen und damit an den Strand spazieren kann? Stattdessen: Trinkverbote. Besonders British Columbia ist in dieser Hinsicht ein Beispiel an Widersprüchlichkeit, wie ich schon einmal bei einem Beitrag über Vancouver darstellte. Medizinisches Canabis – ja, Shots trinken – ja, Bierchen am Strand – nein. Die Logik will mir einfach nicht in den Kopf gehen, ist aber bedauerlicherweise in jedem der drei Staaten anzutreffen. Eine weitere Schwierigkeit stellen die Trinkzeiten dar. Bei mir ist es normalerweise ja nunmal so, dass ich auch unter der Woche lieber um 22 Uhr nochmal auf 2 Biertje in die Kneipe springe und dann eben um halb eins rausgekehrt werde. Zu den normalen Schließzeiten eben. Um 22 Uhr haben hierzulande die Kneipen aber oftmals schon zu. Kein Scherz. Da kann man froh sein, wenn am Wochenende mal eine Lokalität bis zwölf auf hat und unter der Woche nicht schon um neun schließt. Mehr als einmal standen mein Bierdurst und ich so vor verschlossenen Türen. Bemerkenswerte Ausnahme ist dabei ausgerechnet das dünnbesiedelste Gebiet, der Yukon. In Whitehorse standen die Menschen vor dem Dirty Northern um 22 Uhr Schlange, in Dawson schloß um elf zwar die großartige Westminster Hotel Bar hinter uns die Pforten, glücklicherweise hatte aber das nicht minder großartige Bombay Peggy’s Pub noch für ein paar Stündchen länger seine Pforten geöffnet. Vor diesem Hintergrund hat sich der Yukon auf jeden Fall einen Sonderpunkt verdient. Einen Extrapunkt Abzug hingegen verdient sich British Columbia für seine 10% Sondersteuer auf Alkohol und nochmal dreimal mehr für die Tatsache, dass die Preise auf der Karte allermeistens ohne Steuern ausgezeichnet sind. Verbraucherschutz, anyone? Immerhin nennt British Columbia halt auch Vancouver sein eigen und damit die Mezqualeria, die 33 acres Brauerei und viele andere tolle Läden. Somit holt es seinen Abzug auch gleich wieder rein. Unterm Strich stehen damit Ak und B.C. bei 1 Punkt und die Y.T. bei 2 Punkten.
Öko-Bonus: Die deutsche Leitkultur steht für so viele wundervolle Dinge – Goethe, Beethoven, Flüchlingswohnheime anzünden oder Mülltrennung. Dachte ich zumindest, bis ich nach Kanada gereist bin, denn hier wird Mülltrennung noch einmal auf die Spitze getrieben. Überall stehen (mindestens) zwei Mülleimer rum, einen für Müll und einen für recyclebares Material. Manchmal stehen aber auch bis zu zehn Behälter an einem Ort und das einzige, das man (noch) nicht finden kann, scheint ein eigener Container für Altschnur zu sein. Achja, auch eine andere urdeutsche Errungenschaft haben sich die Kanadier längst zu eigen gemacht, das Dosenpfand. Und selbst wenn es hier nur bei ausbaubaren 2 Cent pro Dose oder Pfandflasche liegt, sind dieselben von der Gesellschaft weggeworfenen Randgruppen wie in Deutschland dabei, die Reste der Wegwerfgesellschaft für ihr persönliches Überleben zu nutzen. Dafür gibt es in B.C. anscheinend steuerfinanzierte, freie Krankenversicherungen und das ist für ein nordamerikanisches Sozialsystem eher revolutionär….. anderes Thema. Dazu vielleicht wann anders ein paar Bemerkungen. Auf jeden Fall verdient sich auch in puncto Öko British Columbia einen Sonderpunkt, den für Existenz einer Kampagne gegen Laufenlassen des Motors nämlich. Eine völlig schwachsinnige Sache, die ich noch nie verstanden habe. Wenn du aus deinem Auto aussteigst, dann machh es doch verdammt nochmal aus davor. Das führt bzw. fährt doch zu nix, außer natürlich zu verpesteter Luft, verbranntem Geld und ein paar Äonen mehr Treibhausgasen. Gefühlt war die Alaskaner hierbei besonders schlimm, aber vielleicht irre ich mich auch. Auf jeden fall verdient sich Alaska in Kombination mit der Tatsache, dass dort riesige Wohnmobile von der Größe eines Lastenschleppers Jeeps hinter sich an der Änhängerkupplung hinterher ziehen, einen Minuspunkt. Ich meine ok, manche Menschen haber dort einfach nur dieses mobile Zuhause und kein Haus oder keine Wohnung, aber irgendwo hört es mit der Riesenhaftigkeit, der Schwere und mehr Power auch mal auf. Immerhin hat Alaska aber auch unfassbar große und unfassbar viele Nationalparks, die man mit seinen fahrbaren Tourbussen besichtigen kann. Daher bekommt AK in dieser Kategorie zumindest noch 1 Punkt, die Y.T. hingegen 2 Punkte und B.C. 3 Punkte.
Endabrechnung: Keine Ahnung, bestimmt kommt irgendein Ergebnis raus, wenn man jetzt die einzelnen, willkürlich verteilten Punkte zusammen zählen würde. Mir zumindest ist dieses Ergebnis ziemlich egal. Fakt bleibt so oder so, dass mir diese erste Etappe durch den Nordwesten Nordamerikas all das gebracht hat, was ich von ihr erwartet habe: Gold, Bären, Lachs und unendlich weite und leere Landschaften. Sie hat mir auch Dinge offenbart, die ich hier nicht vermutet oder überhaupt für möglich gehalten hätte – die Kolibris und der Regenwald, Wohnmobile von den Außmaßen eines Gigaliners oder freundliche Grenzbeamte der USA. Wenn unsere weitere Etappen auch so verlaufen sollten, dann bin ich jedenfalls verdammt glücklich darüber, mich für diese Reise entschieden zu haben.