Das beliebteste Small-Talk-Thema in den USA ist höchstwahrscheinlich „Where are you from?“ – „Wo kommst du her?“ Sobald eine Diskussion zwischen zwei Fremden beginnt, kann man sich sicher sein, dass innerhalb der ersten zwei Minuten diese Frage gestellt werden wird. Auch wir haben auf unserer Reise diese Frage daher schon unzählige Male gestellt bekommt und durften daraufhin unzählige Male mit „Germany“ antworten. In so ziemlich allen Rektionen war daraufhin eine Herzlichkeit und eine Freude zu spüren, die über die übliche amerikanische Freundlichkeit hinausgeht und eigentlich nur einen Schluss zulässt: Deutschland hat in den USA einen verdammt guten Ruf. Zum Teil geht das sicherlich auf die Renaissance deutscher Kultur in den USA zurück, Bier und Backwaren sind mehr als Lebensmittel, eher Trends, und die grundsätzliche Kompetenz der Deutschen in der Herstellung dieser Güter wird überall anerkannt. Außerdem wird in wirklich jedem noch so kleinen Kaff zur Zeit ein „Oktoberfest“ abgehalten. Aber auch bei ganz anderen Belangen ist Zuneigung gegenüber Deutschland zu spüren, so zum Beispiel bei der Berichterstattung über die Asylpolitik. Die Aufnahme von Tausenden von Flüchtlingen aus Österreich waren Big News und die deutsche Humanität wurde von den Menschen allseits bewundert, die Schließung der Grenzen kurze Zeit darauf wurde hingegen kaum registriert. Spätestens an diesem Punkt wurde mir die Zuneigung für Deutschland ein wenig unheimlich. Zeit sich zu fragen, woher der gute Ruf Deutschlands in den USA eigentlich herrührt.
An dieser Stelle möchte ich daher eine These anbringen: Deutschland ist in den USA so beliebt, weil die neuere Geschichte Deutschlands den amerikanischen Traum wie eine Aufführung der Augsburger Puppenkiste aussehen lässt. Vom Tellerwäscher zum Millionär? Kinkerlitzchen! Deutschland war nicht nur irgendein Jungchen, geboren in arme Verhältnisse, gefangen in unverschuldeter Unmündigkeit. Nein, Deutschland war ein verurteilter Schwerverbrecher, ein richtiges Badass, das zwar schon lange ziemlich dick im Geschäft war, aber mit mehr als zweifelhaften Mitteln. Kaiserreich und der 1. Weltkrieg – Deutschland war zwar groß und mächtig, aber im Kern seines Wesens eher ein Slumlord und ein Gangster, als ein strahlender Held. Und dann kam der 2. Weltkrieg und die Unmenschlichkeit der Shoa. Deutschland wurde besiegt, in Nürnberg verurteilt und gelobte Besserung.
Und Deutschland lieferte. Angetrieben von einem unermüdlichen Arbeitseifer, Innovations- und Schaffenskraft und endlich mit der richtigen moralischen Einstellung gesegnet schaffte Deutschland den Aufstieg. Vom Schwerverbrecher zum Millionär. Und dann die Wende und die Wiedervereinigung, ein friedlicher Sieg über den verhassten sozialistischen Feind. Deutschland hatte sich nicht nur gebessert, war endlich beseelt durch ein integeres Volk, nein, nach 1989 war es zudem der lebende Beweis für die Überlegenheit des Kapitalismus über den Kommunismus. Ein Deutschland mit einem Politik- und Wirtschaftssystem, das den Deutschen nicht mehr nur nach der Niederlage aufgezwungen wurde, nein, das sie jetzt auch wirklich wollten, aus tiefstem Inneren, und dafür sogar die Gefahren einer gewaltsamen Niederschlagung ihrer Proteste auf sich nahmen, wie es zuvor in anderen kommunistischen Regimen geschehen war. Und danach? Das Märchen ging weiter, Deutschland wuchs weiter, prosperierte und mehrte seinen Wohlstand, übernahm seine Verantwortung und eine Führungsrolle in der EU und auch wenn man sich nicht immer einig ist – Deutschland ist heute groß, selbstständig, hat seine üble Vergangenheit hinter sich gelassen und betreibt Charity, wie der humane Umgang mit den Flüchtlingen geradezu beweist.
Was für ein Märchen! Der amerikanische Traum, galore. Vom Schwerverbrecher zum gütigen Milliardär. Kein Wunder, dass Deutschland in den USA so beliebt ist. Außerdem gab es ja auch noch einen Geburtshelfer – die USA, ohne die diese Märchengeschichte nicht möglich gewesen wäre. Ein erfolgreiches und integeres Deutschland wirft also immer auch ein gutes Licht auf die USA. Da ist die Neigung groß, alles Deutsche in ein etwas besseres Licht zu rücken. Wenn es nach den USA geht, den Platz an der Sonne hat Deutschland sicher. Sich vom Glanz blenden lassen – in einer Welt von Hollywood und Fox News passiert das ja eh niemandem.