Für den vierten Teil meiner Kolumne für die Stuttgarter Zeitung bin ich unter die Kirschpflücker*innen gegangen. Peter und ich haben 9 Tage bei der Ernte im kanadischen Okanagan Valley geholfen.
Es war eine spannende Erfahrung, aber ich bin auch froh, dass wir jetzt weiterreisen und ich keine Kirschen mehr sehen muss“, sage ich zu meinem Freund, als wir nach neun durchgearbeiteten Tagen im Innenhof der Kirschfarm sitzen und mit unseren Kollegen das Ende der Kirschernte feiern. Elf Tage haben wir im Okanagan Valley, der heißesten und trockensten Ecke Kanadas verbracht und jeden Tag bis zu neun Stunden lang am Fließband Kirschen sortiert und gepackt, um unsere klamme Reisekasse aufzufüllen.
Der größte Teil der 60 Erntehelfer stammt aus dem französischen Teil Kanadas, aber wir lernen auch Deutsche, Tschechen und Holländer kennen. Der älteste ist 33 Jahre alt, der Jüngste erst 19. Die Erntehelfer sind Reisende wie wir und versuchen, möglichst viel Geld zu verdienen, um danach weiter reisen zu können. Fast alle campen auf dem Gelände, auf dem es eine voll ausgestattete Küche, Duschen und Toiletten gibt.
Nach der Ernte kreisen Bierdosen und Weinflaschen
Die Arbeitstage laufen meist nach dem gleichen Muster ab. Wir stehen morgens – viel zu früh – auf, frühstücken, packen den ganzen Vormittag Kirschen, machen Mittagspause, packen den ganzen Nachmittag Kirschen. Danach geht es entweder an den Strand oder in den Supermarkt um Essen einzukaufen. Abends sitzen wir zusammen, Bierdosen und Weinflaschen kreisen. Die Atmosphäre bewegt sich irgendwo zwischen Feriencamp und Hippiekommune. Wir erzählen uns gegenseitig von unseren Reise- und Lebensplänen und holen uns Tipps und Anregungen.
Nach zwei Tagen haben wir uns an die Arbeit am Fließband gewöhnt, können uns nebenbei unterhalten und lernen unsere Kollegen besser kennen. Da sind Audrey und Jesse, ein frankokanadisches Pärchen Mitte zwanzig, das campen war und nun Geld braucht, um weiter Urlaub machen zu können. Eigentlich wollten sie maximal zwei Wochen auf der Kirschfarm verbringen, haben ihren Aufenthalt aber wegen der verhältnismäßig gut bezahlten Arbeit und der netten Kollegen verlängert. Da ist Chris, ebenfalls Frankokanadier, bei dem nach der Ernte zwei Monate Asien auf dem Programm stehen. Danach will er vielleicht bei der Ernte in Australien helfen, ein Restaurant eröffnen oder „etwas ganz anderes machen“. Die Australierin Madeleine möchte nach Alaska und dann weiter nach Mexiko reisen. Kaum jemand macht Pläne, die über die nächsten Monate hinausgehen.
Nun soll es Richtung Süden gehen
Um ihren Sommer im Kirschhain zu verbringen, haben die meisten Frankokanadier eine Strecke von mehr als 4000 Kilometer zurückgelegt. In Quebec gibt es kaum Ferienjobs, und außerdem ist das Wetter nicht so schön, erzählen sie uns. Die meisten verbinden das Nützliche mit dem Angenehmen und fahren weiter in den Westen, Richtung Vancouver oder Vancouver Island, um noch ein paar Wochen den Sommer zu genießen – ganz ohne frühes Aufstehen und Kirschernte. Auch wir ziehen weiter, allerdings in Richtung Süden, wo Portland, Seattle und San Francisco auf uns warten.
An dieser Stelle könnt ihr den Originaltext auf der Seite der Stuttgarter Zeitung nachlesen.